München. Von ihren Brüdern misshandelt, vom Vater mit dem Tod bedroht: Alina (Name geändert) musste leiden, weil sie den Mann nicht heiraten wollte, den man für sie ausgesucht hatte. Die 20–Jährige flüchtete schließlich vor Gewalt, Zwang - und vor der eigenen Familie. Bei "Scheherazade", Bayerns erstem speziellen Wohnprojekt für junge Frauen, die von Zwangsheirat bedroht oder betroffen sind, fand sie ein neues Zuhause auf Zeit. Wie 83 andere junge Frauen, die in den vergangenen fünf Jahren hier unterkamen.

Der Mehrzahl der jungen Frauen, die bei  „Scheherazade“ Hilfe suchten, blieb eine erzwungene Ehe erspart, einigen rettete das Schutzangebot vermutlich das Leben. Sicher ist: „Mehr als die Hälfte der Hilfesuchenden baute sich mit Hilfe von ´Scheherazade` ein selbständiges Leben auf – meist in einer anderen Stadt“, so Projektverantwortliche Juliane von Krause. Sie ist Geschäftsführerin von „STOP dem Frauenhandel ökumenische gGmbH“, der in München ansässigen Trägerin von „Scheherazade“.

Die vom bayerischen Sozialministerium geförderte Einrichtung bietet an einem geheim gehaltenen Ort irgendwo in Bayern drei Krisenplätze für junge Frauen im Alter zwischen 18 und 21. „Das ist die Altersgruppe, die am häufigsten von Zwangsheirat bedroht ist“, weiß Juliane von Krause: „Bei uns erhalten die Frauen schnell und unbürokratisch Schutz und Hilfe.“ Die Wohnplätze sind stark gefragt, 20 Frauen fanden hier im vergangenen Jahr eine sichere Bleibe, heuer waren es bislang 12 Hilfesuchende. Einige von ihnen waren bereits zwangsverheiratet worden. Manche sind nur zwei Wochen in der Wohnung, andere über zwei Monate. Die meisten haben Migrationshintergrund, sind aber in Deutschland geboren oder schon sehr lange im Land. Vermehrt Anfragen gibt es allerdings auch von Migrantinnen, die erst jüngst aus ihren Heimatländern geflüchtet sind.  

Geschichten wie die von Alina können Juliane von Krause und Ihre Mitstreiterinnen viele erzählen. Es verging seit der Gründung vor fünf Jahren kaum eine Woche in der nicht jemand bei „Scheherazade“ zumindest telefonisch Hilfe suchte. Permanente Kontrolle, Verbote, psychische und körperliche Gewalt – viele Betroffene haben das jahrelang ertragen, bevor eine von den Eltern geplante Eheschließung sie vollends verzweifeln lässt. Widersetzen sich die Töchter der ungewollten Hochzeit, müssen sie in den traditionell und autoritär geprägten Familien oft noch mehr Druck erdulden. Für die jungen Frauen ist das ein großer Zwiespalt. „Zum einen haben sie Angst vor der Zwangsverheiratung, zum anderen lieben sie ihre Familie, fühlen sich beispielsweise für ihre kleinen Geschwister verantwortlich“, so eine der betreuenden Sozialpädagoginnen.

Für Alina wurde die Situation schließlich unerträglich. Sie fasste den Entschluss, ihre Familie zu verlassen und suchte im Internet nach Hilfsangeboten. „Für viele Betroffene ist es schon nicht einfach, sich überhaupt jemandem anzuvertrauen“, so die Mitarbeiterin, „tatsächlich wegzugehen erfordert sehr viel Mut.“ Ob Wohnort, Schule, Uni oder Ausbildungsplatz, der Freundeskreis und manchmal sogar der Name: Plötzlich ist alles neu, das ganze bisherige Leben auf den Kopf gestellt.

Alina war mutig. Über den Notruf 0800 4151616 nahm sie Kontakt zu „Scheherazade“ (www.scheherazade-hilft.de) auf und plante gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen ihre Flucht in die Schutzwohnung. „Anonymität ist zur Sicherheit der jungen Frauen und der Einrichtung ganz wichtig“, so Juliane von Krause, „in diesem geschützten Raum können sie zur Ruhe kommen und mit unserer Unterstützung Pläne für die Zukunft entwickeln.“

Der Schritt in ein eigenständiges Leben fern der Familie ist schwierig und schmerzhaft, vielfach aber unumgänglich. Nicht immer ist jedoch der endgültige Bruch mit dem Elternhaus nötig oder passend. Manchmal gelingt es zu vermitteln und die von den Eltern geplante Hochzeit wird abgesagt. Oder aber die Mädchen quält schlimmes Heimweh und sie kehren trotz aller Bedenken zurück. „Wir müssen das akzeptieren, versuchen aber Sicherheitsmechanismen einzubauen, um auf erneute Gewalt oder Heiratspläne der Eltern reagieren zu können“, so eine der Mitarbeiterinnen.

Alina hat ihren eigenen Weg gesucht und es geschafft: Sie zog nach einigen Wochen in eine kleine Wohnung und begann, wie sie es sich erträumt hatte, eine Ausbildung.

Für die Zukunft wünscht sich Juliane von Krause, noch viele weitere jungen Frauen dabei unterstützen zu können, ein selbstbestimmtes Leben in Sicherheit zu führen. Daher seien der politische Rückhalt und die weitere Finanzierung durch das Sozialministerium wichtig.  Denn: „Zwangsheirat ist eine massive Menschenrechtsverletzung“, so von Krause. Und auch in Bayern kein Einzelfall. (Ende)

Kontakt für Rückfragen:
Juliane von Krause
Tel. 089 38534454

Geschäftsführerin STOP dem Frauenhandel,
Schwanthalerstr. 79
80336 München
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www.scheherazade-hilft.de  

Scheherazade: 0800 4151616

 

Presseinformation vom 4. Oktober 2017